Bei Bulgarien als Reiseziel denkt man gewöhnlich an Sonnenstrand und Goldstrand als die beiden bekanntesten Orte der bulgarischen Riviera am Schwarzen Meer. Ein entspannter Badeurlaub, kein Adventure-Trip. Dieses Image wird der Realität und der Geschichte des Landes, die in die antike Zeit der Thraker und griechischer Siedler zurückreicht, keinesfalls gerecht. Bulgarien ist ein echter Geheimtipp. Auf der weltweit führenden Reisemesse ITB Berlin 2023, die in Kürze startet, ist das Land in der ausgebuchten Halle „Destinations-Hot-Spot“ vertreten.
Das Schwarze Meer und das Balkangebirge prägen den Charakter des Landes im Südosten Europas. Die rund 600 Kilometer lange Gebirgskette durchzieht das relativ kleine Land von der Grenze mit Serbien im Westen bis zum Kap Emine am Schwarzen Meer. Die bulgarische Küste ist etwa 380 Kilometer lang und besteht aus einer Vielzahl von Buchten. Sonnenstrand und Goldstrand sind die bekanntesten. Doch im Norden nahe der Grenze zu Rumänien und im Süden nahe der Türkei stößt man auf zahlreiche versteckte kleinere Buchten.
Sonnenstand liegt in der Bucht von Nessebar nördlich von Burgas. Der Strand ist sieben Kilometer lang und stellenweise 100 Meter breit. Schon in den 1950er Jahren fiel der Beschluss, hier den Badetourismus auszubauen, denn kaum irgendwo sonst im sozialistischen Ostblock war das südländische Flair so greifbar wie hier. Ende der 1970er Jahre gab es bereits 112 Hotels mit einer Kapazität von 27.000 Betten. Der feinsandige Strand mit flachem Einstieg ins Meer wurde rasch zum beliebten Reiseziel für Familien mit Kindern, auch für westliche Touristen. Nach der Wende wurden viele alte Hotelgebäude abgerissen und manche leider durch gesichtslose Bauten, darunter auch Apartmenthäuser, ersetzt. Der Goldstrand, der weiter nördlich in der Nähe von Varna liegt, hat ähnliche Strandqualitäten, zieht aber ein anderes Publikum an und gilt als die größte bulgarische Partymeile mit Clubs, Discotheken und Nachtlokalen.
Wie auch woanders scheint sich in Bulgarien nachhaltiger Tourismus, der Natur, Tierwelt, Umwelt und Landeskultur im Blick hat, immer mehr durchzusetzen. Fährt man die Küstenstraße entlang der Buchten an Burgas, Pomorie, Albena oder Baltschik vorbei, fallen einem vermehrt Hotelressorts auf, die Spa, Thermal und Ähnliches im Namen haben. Dass das Luxussegment an Stärke gewinnt, beweist das Bauvorhaben des Thracian Cliffs Golf & Beach Resorts. Traumhaft auf einem Hochplateau gelegen wirbt das halbfertige Resort um internationale Premiumgäste mit Verweis auf Panorama-Golfplätze, spektakulären Meerblick und den prestigeträchtigen Eintrag als erstes bulgarisches Hotel im MICHELIN Guide. Wellness und Gesundheitsleistungen kommen bei den Gästen gut an. Neuerdings verstärkt bei den Deutschen, seitdem die deutschen Krankenkassen die Leistungen in bulgarischen Kuranstalten und bei Therapien außerhalb der Krankenhäuser anerkennen. Das bedeutet Kostenübernahme für medizinisch notwendige Behandlungen wie Schlammbäder, Massagen, Zahn- und Augenoperationen.
Jeder Badeurlauber kommt hier früher oder später mit Geschichte in Berührung. Bulgarien war schon immer eine Brücke zwischen Orient und Okzident. Rund 3.000 Jahre v. Chr. siedelten sich hier in Küstennähe thrakische Stämme an. Die Thraker besaßen keine Schrift, die Ethnologen zählen sie aber aufgrund einer ausgeklügelten Organisation zu den ersten Hochkulturen. Davon zeugen archäologische Funde, auf die man 1972 bei Bauarbeiten nahe Varna stieß. Infolge der darauffolgenden Ausgrabungen wurde eine Totenstadt (Nekropole) mit mehr als 300 Einzelgräbern freigelegt. Die Gräber beinhalteten neben Skeletten vielfältige Grabbeigaben.
Insgesamt waren es mehr als drei Tausend Goldschmuckstücke aus der Zeit 4550 bis 4400 v. Chr. mit einem Gesamtgewicht von rund sechs Kilogramm! Ein echter Sensationsfund, denn es ist bis heute das älteste bearbeitete Gold der Menschheit – zudem fast vollkommen rein (23 bis 23,5 Karat). Der Goldschatz zusammen mit anderen Artefakten der antiken Juwelierkunst aus Gold, Kupfer, Marmor oder Muscheln aus der Ägäis ist heute im Archäologischen Museum in Varna zu sehen. Wer sich einen sinnlichen Eindruck vom thrakischen Kult der Totenehrung verschaffen möchte, kann in Pomorie, einer Küstenstadt nördlich von Burgas, das thrakische Kuppelgrab aus dem 2. bis 4. Jh. n. Chr. besichtigen. Wer länger in Varna verweilen möchte, wird garantiert nicht enttäuscht.
Nach Sofia und Plowdiw ist sie die drittgrößte bulgarische Stadt mit knapp 400.000 Einwohnern, ein Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturzentrum des Landes. Varna besitzt (nach dem Hafen Burgas) den zweitgrößten Hafen Bulgariens, der bereits seit der Antike existiert. Die Stadt und ihre Umgebung sind voller Spuren vergangener Epochen. Im 6. Jh. v. Chr. kamen griechische Kolonisten, die die Thraker vertrieben und eine befestigte Stadt gründeten, die sie Odessos nannten. Odessos stieg rasch zu einem bedeutenden Handelszentrum – neben Nessebar und Sosopol – der westlichen Schwarzmeerküste auf. Kurz v. Chr. wurde die Stadt von den Römern erobert und verlor an Bedeutung. Mit der Gründung des Ersten Bulgarischen Reiches durch die Altbulgaren und Slawen im 7. Jh. kamen bessere Zeiten. Bulgarische Zaren ließen die Stadt, die nun den slawischen Namen Varna trug, neu erbauen.
Varna wurde ein Militärstützpunkt und ein wichtiger Handelshafen mit Verbindungen nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, sowie zu den italienischen Seerepubliken Venedig und Genua. 1391, als die osmanischen Truppen die Stadt eroberten, begann für Varna und ganz Bulgarien eine lange Epoche der Osmanischen Fremdherrschaft. Erst 1878 wurde das Land infolge des Russisch-Türkischen Kriegs wieder frei. Aus dieser Zeit stammt die Kathedrale Mariä Himmelfahrt, eines der Wahrzeichen der Stadt. Die zweitgrößte Kirche Bulgarien (die größte ist die Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia) befindet sich auf dem Platz „Hl. Kyrill und Method“ im Stadtzentrum. Der Grundstein zu dem überwiegend aus Spenden finanzierten Kirchenbau wurde 1880 gelegt, sechs Jahre später fand der erste Gottesdienst statt.
Die Kathedralen und Kirchen (oder deren Reste) in Nessebar 100 Kilometer südlich in unmittelbarer Nähe von Sonnenstrand sind dagegen um Jahrhunderte älter. Nessebars Altstadt, Weltkulturerbe der UNESCO, liegt auf einer kleinen Halbinsel, die sich zu Fuß durchstreifen lässt, und gleicht einem Freilichtmuseum.
Wie Funde und historische Quellen belegen, spielte Nessebar eine wichtige Mittlerrolle zwischen den thrakischen Stämmen und den griechischen Siedlern, die etwa im 5. Jh. v. Chr. hierher kamen. Die Griechen bauten die Siedlung zu einer befestigten Stadt aus, die sie Mesambria nannten. Kurz v. Chr. wurde auch Mesambria von den Römern erobert. Der kampflosen Übernahme ist es zu verdanken, dass die Spuren griechischer Vorherrschaft bis heute erhalten blieben. Das sind vor allem Reste mächtiger Mauern und Türme aus dem 5. Jh. v. Chr. bis zum 14. Jh.., die später von den Byzantinern erweitert wurden. Nessebar spielte fast immer eine bedeutende militärische und handelspolitische Rolle in der Region. Es vermittelte im Balkan- und Schwarzmeerhandel und verfügte über eine mächtige Kriegs- und Handelsflotte.
Aus der frühbyzantinischen Epoche, einer Blütezeit der Stadt, blieben Reste von vier großen Basiliken, darunter die ehemalige Hauptkirche, die Alte Metropolitenkirche aus dem 5.-6. Jh. erhalten. Künstlerisch und ästhetisch beeindruckend aufgrund ihrer kunstvoll gestalteten Fassaden mit grafischen Mustern und farbenfrohen Rosetten sind vor allem Kirchenbauten, die im 13.-14. Jh. gebaut wurden, als Nessebar seinen Aufschwung erfuhr. Aus dieser Zeit stammen die spätbyzantinische Christus Pantokrator Kirche, die durch ihre äußerst harmonische Architektur besticht, und viele Familienkirchen (es soll früher einmal 42 gegeben haben).
Nessebar und Sonnenstrand, Varna und Goldstrand – schon auf dieser kurzen Distanz wird der moderne Strandurlauber in eine antike Welt entführt. Genau das ist es, Widersprüchliches und Überraschendes, was die Reisenden heute von ihrem Urlaub erwarten: Eine individuelle Tour statt Standardprogramm, Nachhaltigkeit und Wellness, außergewöhnliche und authentische Erlebnisse. Bulgarien besitzt all diese Trümpfe. Sie beschränken sich keineswegs nur auf das Schwarze Meer. Thermalquellen und Weingüter im Landesinneren, das UNESCO-Weltkulturerbe Rila-Kloster, das Pirin-Gebirge, welches mit Gipfeln über 2.800 Metern Wanderer, Bergsteiger und Skitouristen in seinen Bann zieht – all das ist noch viel zu wenig im Ausland bekannt. Bulgarien als Reisedestination braucht eine durchdachte Tourismusstrategie, die seine Natur- und Kulturschätze in ein neues Licht rückt.
Bilder: @bulgariatravel.org, Svetlana Alexeeva
Kontakt zur Autorin: Svetlana.Alexeeva@digital-insight.de
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