DARK DARK MAN, Kazakhstan 2019
Kraft rauer Lyrik in A DARK, DARK MAN (Kasachstan, Frankreich 2019)

20 Jahre goEast - Virtuelles Filmfestival in der Coronazeit

goEast – das Festival des mittel- und osteuropäischen Films – feierte ausgerechnet im Corona-Lockdown sein 20-jähriges Bestehen. Die vom Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) in Wiesbaden veranstalteten Filmfestspiele fanden vom 5. bis 11. Mai 2020 digital statt. 107 Filme aus 40 Ländern wurden für das Festivaljubiläum ausgewählt. 16 Filmproduktionen aus Ländern wie Georgien, der Ukraine, Litauen, Polen, Russland, Serbien, Rumänien, Kasachstan, Kosovo konkurrierten um die Goldene Lilie für den Besten Film, den Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie und den Preis für Kulturelle Vielfalt des Auswärtigen Amts.

Traditionell werde in den mittel- und osteuropäischen Kinematografien laut Festivalleiterin Heleen Gerritsen sehr visuell erzählt. So war das auch beim Wettbewerbsbeitrag: A DARK, DARK MAN von Adilkhan Yerzhanov, Kazakhstan, Frankreich 2019. Ein Genre-Mix aus Drama, Tragikomödie, Naturfilm und Krimistory aus der kasachischen Gegenwart, das sich einem unmittelbar mitteilt – über eine gewaltige Bildsprache, Schwarzhumor und Assoziationen.

 

Filmkritik

A DARK, DARK MAN

Kraft rauer Lyrik in einer kasachischen Produktion à la Tarantino

Das ganze übermächtige Archaikum – eine monumentale, vom menschlichen Treiben und Trachten unbeeindruckte Bergkulisse am Horizont, die weite kasachische Steppe, ein verwelktes Feld, das Rauschen des trockenen Mais’, strohgelb als vorherrschende Farbe – zieht einen sofort in seinen Bann. Vor dieser Naturkulisse spielt sich das Drama um den (Anti)-Helden Bekzat, eindringlich gespielt von Daniar Alshinov, ab. Bekzat, der örtliche Polizist, soll in einem Mordfall ermitteln. Erneut wurde ein Mord an einem Jungen begangen, was sogar „oben“, im Justizministerium, Fragen aufwirft. Eine junge Investigativjournalistin (Dinara Baktybayeva) reist an, um die Ermittlungen zu begleiten. Ob sie schon mal einen Mörder gesehen habe, fragt Bekzat sie. Ja, ist ihre Antwort, in Filmen und Serien. Dass Bekzat, der in seinem Alltag ständig der Gewalt ausgesetzt ist – und sie sogar selbst ausübt – ein Mörder sein kann, wenn auch nicht der gesuchte, bleibt ihr verborgen.

Wie man schnell bemerkt, bedient sich die Polizei der gleichen zwielichtigen Methoden wie die Mitglieder rivalisierender krimineller Banden der Gegend. Als klar wird, dass das Oberhaupt eines Mafiaclans hinter den Verbrechen steckt, lassen sich die chronisch unterbezahlten Polizisten aus der Not und Gewohnheit heraus bereitwillig auf einen Deal mit dem Mörder ein. Anstelle des richtigen Täters wird Pukuar, ein in der Gegend bekannter Verrückter, gefasst, die Beweise werden gefälscht. Diese stumme, beständig Zeichnungen Chagallscher – je nach Sehart auch archaisch-steinzeitlicher – Manier anfertigende Figur also wird des Mordes an einen Jungen beschuldigt, von dem man nur die mit einem blutverschmierten Laken zugedeckte Leiche in einem ansonsten leeren Pferdestall sieht.

Polizist Bekzat und Kleininformant
Zwielichtige Methoden: Polizist Bekzat und sein Kleininformant

Diese zwei Welten – die triste Existenz des Polizisten Bekzat und die glückselige Sagenwelt des malenden und tanzenden Toren Pukuar – bilden die dramatischen Gegenpole der Geschichte. Dazwischen steht Ariana, die Journalistin, die ein zaghaftes Eindringen zivilisatorischer Maßstäbe in diese entseelte Welt der Korruption und Gesetzlosigkeit und gleichsam das Gewissen des als Waise aufgewachsenen Bekzat verkörpert. Als sie in einer Szene aus Montesquieu’s Aufklärungsschrift „Vom Geist der Gesetze“ zitiert, scheint ihn plötzlich eine innere Regung zu erfassen, die über die dumpfen Strukturen, denen er sich bisher aus Überlebenstaktik angepasst hat, hinausgeht.

Häufig sieht man im Dunkeln halb auf kasachisch, halb auf russisch miteinander schachernde Männer. Daneben einsam stehende, schäbige Gebäude aus der Sowjetzeit, die einmal ein Dorf verheißen mochten, nun jedoch jede Wohnlichkeit entbehrende Inneneinrichtungen zeigen. Ob sich diese Menschen in einer kasachischen Jurte heimischer – vielleicht friedlicher und weniger gewaltbereit – als in den entseelten Behausungen fühlen würden, möchte man fragen.

Der Dark Man Bekzat bezahlt seine seelische Rettung mit dem eigenen Untergang. Dazu muss er sich selbst ermächtigen und eine Entscheidung treffen – töten oder nicht töten – als er den Killerauftrag, Pukuar im Tausch gegen ein Bündel Banknoten kurzerhand aus der Welt zu schaffen, ausführen will und kurz vor dem Abdrücken der Waffe plötzlich dem Blick des Toren begegnet, der für einen Moment seinen mit einem Beduinentuch verhüllten Kopf entblößt und den potenziellen Mörder mit unerwartet wachem, ruhigem, ja Jesushaften Blick mustert, der zu verstehen gibt, dass hier möglicherweise Höheres, wenn schon der weltlich-humane Idealismus der Journalistin chancenlos, mit zuschaut; vielleicht das Auge Gottes.

Regiesseur Adilkhan Yerzhanov
Regiesseur Adilkhan Yerzhanov

Auffälligerweise fehlen Pferde, die Urtiere des kasachischen Nomadenvolks, in dieser Szenerie gänzlich. Merkwürdig vereinsamt scheint die Steppe ohne sie. Einzig in einer traumartigen Sequenz, überdeckt von stichig-grünlichem Kolorit, tauchen plötzlich Schatten von Pferden auf, mythisch, gleich einer Felsmalerei, unmittelbar folgend auf der Schlüsselszene vom verhinderten Mord. Jederzeit hat die Kamera (Aydar Sharipov) ihr sicher stehendes Szenenbild fest im Blick und lässt Bilder zwischen Traum und Wirklichkeit entstehen, denen man – bis hin zum still sich vollziehenden Mordgewühl der Schlussszene – noch lange nachhängt.

 

Filmkritik: Svetlana Alexeeva, Strategy Advisor, Inhaberin von DIGITAL INSIGHT Russia/Eurasia/CIS: Svetlana.Alexeeva@digital-insight.de

A DARK, DARK MAN: Adilkhan Yerzhanov (Regie), Kasachstan, Frankreich 2019, 130 Min. Im November 2020 sind goEast-Filme bei goes exground zu sehen: https://www.filmfestival-goeast.de/de/Programm_2020/goeast_goeas_exground.php

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