Dr. Stefan KOOTHS, Institut für Weltwirtschaft Kiel, und Ewald König
Prof. Dr. Stefan Kooths (mittig am Tisch) und Gründer von korrespondenten.cafe Ewald König (rechts)

Konjunkturprognose: Wirtschaft im Abstieg

Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft übt deutliche Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung

 

Das Wort des Jahres 2022 "Zeitenwende" ist in aller Munde. Bezogen auf die Konjunktur und die wirtschaftliche Entwicklung heißt es, dass Schätzungen mit traditionellen statistischen Verfahren derzeit schwierig sind. Zuverlässige Prognosen der gängigen makroökonomischen Kennzahlen wie Auslastung der Produktionskapazitäten, die Höhe der Inflation und des Wirtschaftswachstums seien mit Unsicherheiten behaftet. Mit dieser Mahnung begann Prof. Dr. Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) seinen Auftritt im vorweihnachtlichen korrespondenten.cafe, einem Berliner Format für deutsche und ausländische Medien, das seit drei Jahren besteht.

Die Gefahr einer Rezession in Deutschland, die eigentlich mit wirtschaftspolitischen Instrumenten bekämpft werden sollte, werde von der Politik massiv unterschätzt, warnte der Konjunkturforscher, der zudem der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft vorsitzt und Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School Berlin/Hamburg lehrt. Der langfristige Wachstumspfad werde in Deutschland immer flacher. Die Inflation erfasse weitaus mehr Wirtschaftsbereiche als den Energie- und Stromsektor wie allgemeinhin angenommen. Dabei seien die Ursachen nicht nur auf den Ukrainekrieg, sondern auch auf eine "Überdosierung der Liquidität" durch die Zentralbanken während der Corona-Pandemie zurückzuführen, als "Phantomeinkommen in den privaten Sektor von der EZB gepumpt wurden".

Mit Blick auf das kommende Jahr 2023 stellen laut Kooths die Demografie und die Verfasstheit des Rentensystems eines der wichtigsten Probleme dar. Es zeichne sich schon jetzt ab, dass in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland sinken werde, was mittels Zuwanderung kaum abgefangen werden könne. Deshalb sollte es eine zentrale Aufgabe der Politik sein, wie man Arbeitskräfte produktiver machen kann und hier wirtschaftspolitische Anreize setzt, auch um eine Abwanderung hochqualifizierter sowie jüngerer mobiler Arbeitskräfte zu verhindern. Die Energiekrise sei die zweitwichtigste Stoßrichtung für die deutsche Politik im Jahr 2023. Doch diese energiepolitische Herausforderung wirksam anzugehen hieße nicht mehr Subventionen zu verteilen oder sich auf einen Subventionswettlauf, etwa mit den USA, als Reaktion auf deren protektionistischen 'Inflation Reduction Act", einzulassen, sondern zusätzliche Produktionskapazitäten zu erschließen, und zwar technologieoffen.

Dies mag vernünftig klingen, doch oft scheitern theoretisch abgeleitete Handlungsempfehlungen an der praktischen Realität. Mit anderen Worten: Ob sich die deutsche Öffentlichkeit für noch längere Laufzeiten für die drei letzten am Netz verbleibenden und sogar zusätzliche Kernkraftwerke sowie heimische Erdgasförderung, sprich Fracking, erwärmen kann, bleibt zu bezweifeln. Mit langfristigen LNG-Lieferverträgen ist vermutlich die Grenze des politisch Durchsetzbaren vorläufig erreicht.

 

Kontakt: Svetlana.Alexeeva@digital-insight.de

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