Die EU-Erweiterung im Jahr 2004 war für Europa ein historisches Ereignis: Zehn neue Mitgliedsländer – mit Ausnahme von Malta und Zypern, allesamt osteuropäische, ehemals sozialistische Staaten – traten der EU bei. Es war die bisher größte Erweiterungsrunde, sowohl bei der Anzahl der neuen Staaten als auch der neuen EU-Bürgerinnen und -Bürger, die allgemein als "EU-Osterweiterung" bezeichnet wird. Zwei Jahrzehnte später bezeichnet Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses (OA), einer Regionalinitiative der deutschen Wirtschaft, Osteuropa „einen Wirtschafts- und Chancenraum direkt vor unserer Haustür“. Die Zahlen untermauern die Aussage: Im letzten Jahr belief sich das Handelsvolumen Deutschlands mit den 29 Mitgliedsländern des OA auf rund 550 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 19% des gesamten deutschen Handelsvolumens und ist mehr als China und die USA zusammen.
In erster Linie hat sich Polen als Deutschlands wichtigster Handelspartner etabliert. Im Jahr 2023 erreichte der deutsch-polnische Handel mit etwa 170 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. Die politischen Rahmenbedingungen haben sich unter der Führung von Donald Tusk weiter verbessert. Im Kontrast dazu zeigt sich die Situation in Ungarn als weitaus komplizierter. Zwar gibt es positive Entwicklungen, wie die Produktion der neuen BMW-Autoklasse, die komplett in Ungarn stattfindet und anschließend global ausgerollt wird. Dennoch sieht der Verband die Investitionssicherheit in den Sektoren Telekommunikation, Energie und Bankwesen derzeit als gefährdet.
In der Ukraine sind alle deutschen Unternehmen, die hier vor dem Krieg aktiv waren, angeblich noch da. Es gebe sogar neue Investitionen in Bereichen wie Landwirtschaft, Energie, im Bauwesen und IT-Sektor. Ein entscheidender Faktor dafür war, dass die Bundesregierung die Bundesinvestitionsgarantien offen hielt, was auch für die Hermesdeckung gilt, die besonders für kleinere und mittelständische Unternehmen wichtig ist. Die am 11. und 12. Juni 2024 anstehende Ukraine Recovery Conference in Berlin zielt darauf ab, das Land mit europäischen und internationalen Instrumenten wieder aufzubauen.
Zentralasien, das fünf Staaten mit insgesamt 80 Millionen Menschen umfasst, erlebt seit einiger Zeit eine dynamische Entwicklung. Dies gilt insbesondere für die Bereiche grüne Energie, Dekarbonisierung, Rohstoffförderung und Modernisierung der Landwirtschaft. Für deutsche Firmen, die ihre Geschäfte aus Russland verlagern wollen, bieten sich in der zentralasiatischen Region attraktive Alternativen. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Zentralasien sei zuletzt stark angestiegen, teilweise jedoch, weil Geschäfte, die früher über Moskau abgewickelt wurden, nun direkt in der Region stattfinden. Auch Parallelimporte, also Lieferungen von nicht sanktionierten Waren wie Smartphones oder iPhones, spielen eine gewisse Rolle. Bewusste Sanktionsumgehungspraktiken oder problematische Lieferungen von Dual-Use-Gütern beobachtet man im Fall deutscher Firmen eher selten. Als Rohstoffpartner ist Kasachstan aus deutscher Sicht besonders wichtig, besonders im Kontext der Energiewende. Das Land verfügt über zahlreiche Rohstoffe, die für die Elektromobilität und die grüne Transformation in Deutschland benötigt werden. Mit Usbekistan bespricht die Bundesregierung Optionen im Bereich der Fachkräfteausbildung. Sichergestellt werden soll, dass usbekische Spezialisten - oder zumindest ein Teil derer - nach einer Zeit in Deutschland mit neu erworbenen Fachkompetenzen in ihre Heimat zurückkehren.
Die Beziehungen zu Russland hätten sich seit dem Kriegsbeginn drastisch verschlechtert. Laut Harms findet derzeit eine umfassende Entflechtung der deutschen und russischen Wirtschaft statt. Als Handelspartner sei Russland von Platz 14 auf Platz 38 abgerutscht. Etwa 70% des Geschäftsvolumens deutscher Unternehmen, die vor dem Krieg in Russland aktiv waren, seien weggefallen. Es gäbe kaum noch große deutsche Schlüsselunternehmen aus den Bereichen Energie, Elektroindustrie und Automobilsektor vor Ort. Die Zahlen belegen, was für einen hohen Preis deutsche Unternehmen für ihr Russland-Engagement bezahlt haben.
In Bezug auf die Einhaltung der Sanktionen würden deutsche Unternehmen eher zur "Over-Compliance" neigen. Der Ost-Ausschuss veröffentlicht regelmäßig Sanktions-Briefings, von denen mittlerweile mehr als 100 Ausgaben erschienen sind. Aktuell sind weltweit etwa 30.000 internationale Sanktionsvorschriften zu berücksichtigen – eine gewaltige Herausforderung, die kein Unternehmen ohne externe Unterstützung und spezielles Fachwissen bewältigen kann.
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